Es passiert offenbar nicht selten. Aber, dass es so schnell passieren würde, hätte ich nicht gedacht. Kaum einen Tag in Mumbai und schon werde ich auf der Strasse für Bollywood gecastet. Und dann auch noch für den neuen Blockbuster mit Sharukh Khan und noch ein paar weiteren Big Shots der indischen Traumfabrik. Das kann ich mir nicht entgehen lassen!
Update, August 2014: Der offizielle Trailer ist raus! Und das sieht doch ganz schön cool aus:
Knapp 25 Mann warten morgens um 8 vor dem Mc Donald’s. Wenn ich mich so umschaue, ist es keine besondere Ehre, auserwählt worden zu sein. Weiße Haut scheint so ziemlich das einzige Kriterium zu sein, das es zu erfüllen gilt…
Im Bus gibt es direkt Essen – Papaya, Melone, Hühnersandwich und ein hartgekochtes Ei. Während ich gedankenverloren am Obst nage, blicke ich aus dem Fenster auf zwei abgerissene Typen, die sich gerade auf dem Mittelstreifen Heroin spritzen, während ein dritter zu mir hochlächelt, als wollte er sagen: „Na und?“
Nach eineinhalb Stunden im Alptraum-Verkehr der Metropole sind wir da, RK Studios in Govandi, Bollywood central. Ich bin sehr gespannt. Gerade die Tatsache, dass ich zu Hause als Filmschaffender mein Geld verdiene, macht diese Stippvisite in Bollywood noch interessanter. Von außen sieht es erst mal nach nicht viel aus.
Man führt uns in eine große Halle, wo bereits sehr viele andere Leute wuseln. Hier gibt es die Kostüme, die Halle ist bis zur Decke vollgepackt mit Kleiderstangen. Schnell wird jedem der Komparsen etwas in die Hand gedrückt, die jeweilige Auswahl und Größe scheint so wichtig nicht zu sein. Anders offenbar bei den richtigen Bollywood Darstellern. Passt etwas nicht, so wird es gleich vor Ort noch mal umgenäht:
Mit unserem Klamottenpaket laufen wir in einer riesigen Herde ein Stockwerk höher, wo wir uns umziehen und unsere Taschen stehen lassen sollen. Der Gang dorthin ist gepflastert mit Plakaten anderer Bollywood Filme, die bereits hier gedreht wurden. Steve, einer meiner Mitstreiter, hat bei seinem Frack offenbar nicht ganz die richtige Größe erwischt:
Alles geht sehr schnell, gerade für indische Verhältnisse. Die Mädels werden noch im Eiltempo geschminkt und schon sehen wir uns alle vor dem Studio wieder, nun allesamt in feinem Zwirn. Ein paar Schuhe sind zwar schon am Auseinanderfallen und hier und da fehlt ein Knopf am Hemd, aber auch das scheint nicht weiter schlimm. Vor dem Studio brennt nun die Sonne vom Himmel. Die Hektik der mit Walkie Talkies ausgestatteten Bollywood Crew erinnert mich stark an Zuhause, und ich bin froh, dass ich diesmal vor der Kamera stehen und mit dem Stress nichts zu tun haben werde. An der Eingangstür zum Studio werden wir alle gefilzt und müssen alle unsere Kameras und Handys an einer Art Garderobe hinterlassen. Drinnen ist partout nicht ein einziges Foto erlaubt, so sehr ich auch bettele. Schade. Aber natürlich auch verständlich.
Das Studio ist von innen viel größer als man denkt. Es wurde komplett als riesiges Theater verkleidet, Set Designer müssen hier Wochen dran gearbeitet haben. Zwar sehen viele Dinge sehr kitschig aus, aber allein die Größe des Saals ist beeindruckend. Tatsächlich passen wir in dieses Ambiente mit unseren neuen Klamotten gut rein. Alle verteilen sich im Raum, je nach Anweisung der zahlreichen indischen Helfer. Mit Crew und Darstellern sind wir sicher 250 Leute auf diesen wahrscheinlich 1000 Quadratmetern.
In der Mitte befindet sich eine riesige Tanzfläche, an den breiten Seiten erstrecken sich Buffets mit Essensattrappen vor pompösen Säulen und Torbögen, die mit Glitzer verkleidet sind. Auf der einen Schmalseite steht eine bombastische Bar, alles leuchtet und blinkt. Auf der anderen Seite führt eine breite Treppe ins Nichts. Rechts davon steht ein in Discokugel-Folie gekleidetes Piano, links davon die Instrumente einer Band. Am Schlagzeug sitzt ein Mann und schläft mit dem Kopf auf der Snaredrum. Von der sicher 15 Meter hohen Decke hängen überall goldene Fäden und Lichterketten.
Ich schaue mich um und bin verblüfft, wie viele Ähnlichkeiten zu einem deutschen Set ich entdecke. Das Equipment hier in Bollywood ist dasselbe, die Lampen sind dieselben (wenngleich vielleicht nicht in der neuesten Ausführung). All die Hilfsmittel wirken ebenfalls sehr vertraut. Besonders aber in der Crew erkenne ich sofort die Positionen: Hier die introvertierten Set Designer, dort die Drama Queens vom Make-Up. Alles im Blick stets die 2nd ADs und Aufnahmeleiter, und dort noch die muskulösen Abenteurer vom Licht. Es scheint mir nur so, dass es von jeder Position hier etwa fünf mal so viele gibt wie bei uns. Aber so ist Indien eben, denn es gibt hier einfach viel mehr Menschen. Erst gestern saß ich mit einer weiteren Person in einer Bar, in der 13 Kellner ‚arbeiteten‘.
Ich werde am Buffet platziert, gemeinsam mit der angehenden Ärztin Iva aus Holland. Regieanweisung: Sie ist sehr betrunken und ich nutze das schamlos aus. Na dann mal los!
Ich stelle jedem, der gerade neben mir steht, ein paar Fragen und so langsam ergibt sich ein etwas klareres Bild des Films, bei dem wir gelandet sind. Er heisst ‚Happy New Year‘ (fantastischer Titel), ist das neue Megaprojekt von Bollywood-Über-Regisseurin Farah Khan, kommt im September in die Kinos und strotzt nur so vor Superstars. Und ja, alle diese Stars werden sich heute noch zu uns gesellen!
Auf dem großen Dancefloor tanzt jeweils ein Inder mit einer westlichen Frau, insgesamt sind es sicher 25 Pärchen. Ich finde heraus, dass die Mädels alle professionelle Tänzerinnen aus England und Australien sind und 10 Monate lang von ihren Agenturen an verschiedene Bollywood-Filme vermietet werden. Wie die Bezahlung denn so ist, frage ich. „Geht so“, sagt Laura aus Sydney, dann wirbelt sie wieder davon mit ihrem Partner, dessen blondierter Haarschnitt ihn aussehen lässt wie ein Monchichi. Ich hatte schon vorher gehört, dass indische Tänzerinnen bereits auf die Barrikaden gehen, da die Westlerinnen ihnen mittlerweile alle Jobs wegnehmen. Ähnlich verhält es sich offenbar mit uns, den Statisten. Denn wir machen das alle nur zum Spaß und daher für deutlich weniger Geld als die Einheimischen. Doch offenbar will das Publikum weiße Haut sehen. Und oftmals lassen sich auch nur westliche Darstellerinnen auf die gewagten Kostüme ein. Eine vertrackte Situation.
Szenenwechsel: Ich bin nun Teil einer großen Gruppe, die leger in der Gegend herumsteht. In der Hand halte ich etwas, das wie Whisky aussieht und wie schimmliger Saft riecht. Ich gehe unter in der Anonymität der Komparsen-Masse. Ich quatsche mit ein paar Indern, die das hier auch zum ersten Mal machen. Sie sind ähnlich fasziniert von der Sache wie unsereins, doch natürlich kommt bei ihnen noch die fast götterhafte Verehrung von Bollywood-Schauspielern hinzu.
Wie es scheint, kommt nun trotz der Enge seines Kostüms der Australier Steve groß raus, der mit seiner Freundin auf Weltreise ist und wie ich dachte, dass er das hier nicht verpassen sollte. Man platziert ihn kniend auf der Bar, direkt neben der riesigen Discokugel. Es müssen seine Surfer-Locken sein, die ihn dorthin gebracht haben. Ich bin ein bißchen neidisch!
Wie es so ist am Set: Immer kurz passiert mal was, dann heisst es wieder warten. Und das mitunter sehr, sehr lange. Dabei ist es trotz Klimaanlage unfassbar heiß. Wann immer ich kann, ziehe ich mein Jacket aus. An den Tischen, die sich seltsamerweise auf sich gegenläufig drehenden Scheiben befinden, sind schon ein paar Mädels vor Erschöpfung mit dem Kopf auf dem Teller kollabiert. Unter den Tischen stapeln sich die High Heels, bereits jetzt sind die meisten Frauen barfuß. Der beliebteste Typ am ganzen Set ist der Junge, der allzu selten eine Ladung kleiner Wasserflaschen vorbeibringt, die sich leider in einem Schluck leertrinken lassen.
Dann ist auch diese Szene ist im Kasten. Schwer zu sagen, um was es eigentlich ging. Es sehen aber alle Crew-Mitglieder zu beschäftigt aus, um sie mit Fragen zu nerven. Man winkt mich rüber zu den Tischen auf den Drehscheiben und ich bekomme eine neue Freundin zugeteilt: Fairuza. Aus wo? „Usbekistan“, sagt sie gleichgültig. Auch Turkmenen seien eine Menge hier. „Background artists, that’s what we are.“ Eine schmeichelhafte Bezeichnung für das Spielen der dritten Geige. Doch nach anfänglicher Distanz ist sie recht nett. Und wir als Paar sind nun, nachdem man die Kamera auf ihrem Dolly bewegt hat, mitten im Bild! Sie findet das deutlich weniger aufregend als ich und erzählt mir, dass sie pro Tag 1500 Rupees (18 Euro) bekommt. Nun gut, das ist wenigstens das Dreifache von dem, was man mir bezahlt. Aber eine gute Bezahlung stelle ich mir anders vor, besonders im wirklich nicht günstigen Mumbai.
Mit uns am Tisch: Drei sehr adrette Inder in Designer-Anzügen. Doch sie wollen nicht mit mir sprechen. Ganz offensichtlich halten sie sich für etwas Besseres. „We are Junior Actors„, nuschelt der Eine gelangweilt in meine Richtung, während sein Blick auf dem Hintern einer hübschen Komparsin ruht. Ah, das erklärt natürlich eine Menge. Offenbar sind sie die Sharukh Khans von morgen. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie angesprochen habe!
Außerdem mit in der illustren Runde ist der freundliche Franzose Jerome, der es wie ich ziemlich cool findet, dass wir nun prominent in der Nahaufnahme zu sehen sind. Und während wir noch so herumfeixen, steht er plötzlich neben uns: Sharuk Khan himself! Doch damit nicht genug, er setzt sich auch noch auf den Stuhl direkt neben mir! Ist die Zeit für meine fünf Minuten Ruhm nun endlich gekommen? Leider nein. „Sir, please get up.“ Eine gehetzte Frau mit Knopf im Ohr setzt die Anweisungen der Regisseurin um und komplimentiert mich aus dem Bild. Im Bruchteil einer Sekunde realisiere ich, dass wir nur stand-ins, oder vielmehr sit-ins waren für die Stars, damit man die Kameraposition einrichten konnte. Nur Sekunden später muss auch Jerome das Feld räumen. Mit einer gewissen Genugtuung beobachte ich dann, wie auch die Junior Actors eher ruppig entfernt werden. Alle Plätze werden nun stattdessen besetzt von sehr schönen Indern in sehr aufwändigen Kostümen, 4 Typen und eine umwerfende Frau. Man kennt sich und albert miteinander herum.
Neben mir wird ein neuer Strahler angeschlossen. Und das, indem man zwei einzelne Kabel ohne Stecker in die Löcher der Steckdose steckt. In Deutschland wären jetzt die ersten Menschen in verantwortungsvollen Positionen ohnmächtig geworden. Der Stecker sprüht Funken! Doch das ist dann offenbar selbst den Indern zu viel. Stattdessen wird plötzlich ein Starkstromkabel von oben herabgelassen, mit ihm fällt eine Menge Staub auf die Speisenimitate. Mein Blick nach oben stimmt mich nachdenklich. Mit Seilen an der Decke befestigt hängen dort in etwa 15 Metern Höhe lange Bretter, auf denen sich die Beleuchter bewegen wie Berggämse. Ohne Sicherung versteht sich. An den Brettern wiederum sind die riesigen Scheinwerfer befestigt. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese mit mehr als nur mit Knoten gesichert sind.
Meine dritte Freundin wird mir angereicht; das geht ja flink hier. Lynne aus Manchester. 10 Monate hier, 10 Tage bei diesem Film. Es ist für sie Tag 3, den alle immer als den Schlimmsten von allen empfinden. Sie plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen: Sharukh Khan ist vor ein paar Tagen am Set eine Tür aufs Bein gefallen, daher humpelt er und kommt auf Krücken. Doch er sei alles in allem sehr nett. Was man von der Regisseurin nicht immer behaupten könne, welche die Tänzerinnen auch gerne mal aus dem Nichts als Prostituierte tituliere und zu Wutanfällen neige. Spannend! Lynne und ich laufen hin und her zwischen den sich drehenden Tisch-Scheiben, immer und immer wieder.
Dann endlich: Mittag!
Es ist ganz klar, wer wo und was zu essen bekommt. Hier die Tänzer, dort die Background Artists, und am einfachsten Stand mit der kleinsten Auswahl die Komparsen. Die Bollywood Stars haben sich unterdessen in ihre Wohnmobile zurückgezogen. Auch hier also alles wie an einem deutschen Set. Wobei ich hier wohl mal erwähnen muss, dass ich es nur sehr selten mit Teams, Sets und Budgets dieser Größe zu tun habe, und meine Erinnerungen daran auch bereits etwas verblichen sind.
Das Essen ist lecker. Und auch wenn die Meisten schon ziemlich durchgeschwitzt sind, so scheinen doch alle noch immer guter Laune. Ganz der Aufnahmeleiter, inspiziere ich zwischen zwei Häppchen auch hier mal eben die Stromversorgung. Gut, im Bereich Strom gibt es dann offensichtlich doch frappierende Unterschiede zu deutschen Sets:
Nach dem Essen reicht man uns noch eine leckere Süßigkeit. Danach genehmige ich mir noch einen klebrigen Chai vor der Tür und werfe einen Blick hinter das Bollywood Studio. Hier wieder: Zwar andere und vielleicht auch etwas ältere Generatoren-LKW, aber im Grunde doch ein vertrauter Anblick:
Auf der Toilette lerne ich Vance kennen, einen sympathischen Kalifornier, der gerade dabei ist, in Goa Mikrobrauereien für Bier zu etablieren. „Travelling and booze as a job – doesn’t get much better than that!“, lacht er mich mit der Zigarette im Mund an. Ich frage mich mittlerweile, wie viele Nationalitäten wir hier eigentlich sind.
Im Taschenraum treffe ich Elizabeth, die Kanadierin, mit der ich gekommen bin. Sie wohnt im gleichen Hotel wie ich und ist gestern gemeinsam mit mir von der jungen Französin angesprochen worden, welche die Komparsen auf der Straße scoutet. Man hat beim Schminken von Elizabeths Augen offenbar etwas falsch gemacht, sie kann seither auf dem linken Auge nichts mehr sehen und war im Grunde nur fünf Minuten am Set. Demnächst will man sie zu einem Augenarzt bringen.
Ah, und da ist ja auch Iva, meine erste Freundin, die schon fast wieder in Vergessenheit geraten ist. Zeit für ein Foto:
Dann geht es weiter, alle werden wieder ins Studio getrieben, das nun wirklich einer Sauna gleicht. Man platziert mich an einem Tisch, zum Glück kann ich erst mal sitzen. Jerome und seine Freundin sind auch da. Dazu noch zwei aufgedrehte junge Inderinnen, die unbedingt von mir angestellt werden wollen, als sie hören, dass ich auch im Business bin. „She’ll do anything“, sagt die Eine über die Andere. Ich bin leider zu erschöpft für jegliche Schlagfertigkeit.
Am Nachbartisch sitzen ein paar weitere Inderinnen, die aber offenbar nicht zum ersten Mal dabei sind. Sie geben sich bewusst gelangweilt und überheblich. Witzig, wie viele unterschiedliche Befindlichkeiten eine solche Halle beherbergen kann.
Ich kann nun kaum mehr denken. Die Hitze, das Essen, die ständige Drehung der Tische. Und der Wasser-Walla hat sich leider auch schon lange nicht mehr blicken lassen. Etwa eineinhalb Stunden verbringe ich in einer Art Trancezustand. Zum Glück muss ich mich wenigstens nicht bewegen. Ich glaube im Grunde nicht mal, dass ich überhaupt noch im Bild bin.
„We need more energy“, versucht einer der 2nd ADs die deutlich ausgelaugte Meute anzupeitschen. Doch viel Energie ist offenbar nicht übrig.
Doch was passiert dann? Plötzlich wird es erfrischend kühl. Sharukh Khan ist zurück. Und wo er ist, da sind auch stets die fahrbaren Klimaanlagen! Tja, und die Kamera natürlich. Und diesmal werde ich nicht weggejagt. Stattdessen bekomme ich schon wieder eine neue Freundin, Ivas Reisepartnerin Nicole. Und tatsächlich, nach weiterem Warten kommt dann mein großer Moment. Sharukh Kahn und die anderen Jungs in ihren bunten Samtjackets laufen direkt an mir vorbei, während alle im Raum dazu angehalten sind, auf einen Tennisball auf einem Stativ zu starren und sich dabei vorzustellen, dieser sei eine hübsche Frau. In die Richtung des Balls laufen auch die Hauptdarsteller. In einer Pause ein kurzer Check auf dem Playback-Monitor der Regisseurin: Yes! Ich bin mitten im Bild, und das auch noch scharf.
Schade nur, dass der Tag nach diesem kurzen Augenblick des Ruhms noch lange nicht vorbei ist. Versprochen hatte man uns, dass wir um 20 Uhr wieder im Backpacker-Viertel Colaba sein würden. Noch können wir nicht ahnen, dass wir erst um 22.30 überhaupt aus dem Studio rauskommen…
Der Nachmittag, der sich in die Länge zieht wie ein von Jochen Schweizer geeichtes Bungeeseil, ist eine ewige Wiederholung derselben Tanzszene aus unterschiedlichen Perspektiven. Mal stehe ich hier, mal dort, mal klatsche ich, mal quatsche ich. Und ab und an bekomme ich eine neue Partnerin. Ich bin klatschnass geschwitzt. Aber nicht nur ich. Die Tänzer, die vermeintlichen Kellner in den traditionellen Uniformen, die als arabische Geschäftsmänner verkleideten Darsteller: Alle sehen aus wie nach einem Dauerlauf, die meisten Mädels haben nun süße rote Bäckchen. Einer der Kellner lässt bereits zum dritten Mal sein Tablett fallen. „I’m not a waiter, I’m an actor“, empört er sich laut. Niemand geht darauf ein. Stattdessen kommt erneut wie durch Zauberhand eine ganze Schar Menschen hinter den Vorhängen hervorgehuscht und wischt den Boden wieder blank.
Drehen, warten. Drehen, warten. Dazwischen werde ich kurz zur Regisseurin geschleift, die mich etwa eine Tausendstel Sekunde aus dem Augenwinkel mustert und dann wieder wegschickt. Offenbar sehe ich dem Komparsen, der vor drei Tagen prominent im Bild war, dann doch nicht so ähnlich.
Ich stehe nun inmitten australischer Tänzerinnen, die über nichts als Essen reden und dabei allesamt so aussehen, als würden sie im Grunde nie welches zu sich nehmen. Aus dem Gespräch höre ich heraus, dass sie gemeinsam in einer von der Agentur bezahlten Wohnung leben und fast keine Freiheiten haben. Nicht mal auf der Dachterrasse sonnen dürfen sie sich, denn man will sie nur, wenn sie so weiß wie möglich sind. Sie wirken leicht verbittert und ich lasse sie in Ruhe. Mir fehlt mittlerweile ohnehin die Energie für das ständige Kennenlernen neuer Menschen. Auf das Kommando ‚Background Action‘ machen wir gute Mine zum bösen Spiel und prosten einander zu. Kurz darauf kommt dann das echte ‚Action‘ für die wichtigen Menschen im Bild.
Dann Pause. Einer der Schauspieler hat Geburtstag und es gibt ein arabisch anmutendes Geburtstags-Ständchen und Kuchen. Nicht für die Komparsen, versteht sich. Ich schleiche mich raus und erbettele mir noch einen gezuckerten Tee.
Dann noch das Abendessen. Jeder Anstand ist nun dahin. Nachdem ich freundlich eine Usbekin zurechtweise, die sich vordrängt, beschimpft sie mich, deutlich weniger freundlich und Chapati-Reste spuckend, in ihrer Sprache. Das nehmen alle Anderen umgehend zum Anlass, die Schlange nun ebenfalls zu ignorieren. Nur Sekunden später liefern sich die Komparsen einen wahren Kampf um das wenige Essen. Ich versuche mein Glück einen Stand weiter, werde aber von einer indischen Schauspielerin verpfiffen, die laut und abfällig sagt, dass ich als Nicht-Inder gefälligst zu dem für mich vorgesehenen Stand gehen soll. Eine etwas freundlichere junge Inderin versucht es noch zu verhindern, aber ich werde schließlich von einem Ordner zurück zum Komparsen-Stand geschickt, wo es nun leider fast gar nichts mehr gibt.
Ich treffe Elizabeth, sie hat ein verbundenes Auge. Zerkratzte Bindehaut, ein Fehler des Make-Up-Künstlers. Wenigstens haben sie ihre Behandlung bezahlt. Daneben Vance, der kaum mehr auftreten kann nach 11 Stunden Herumstehen. Er hat sich vor drei Tagen im Bus den Zeh gebrochen. Er erzählt mir, dass die indischen Kids, mit denen er gesprochen hat, dem Film nicht viele Chancen geben. Die junge Generation will mehr Action und nicht diesen ewigen Klamauk und das obligatorische Getanze.
Dann Endspurt. Noch einmal machen Jerome, Steve und ich die stand-ins („Sharukh Khan has other things to do“). Dann bekomme ich meine letzte Freundin für diesen Tag und werde auf den Stufen der in Samt gewandeten Treppe platziert. Liz, wieder eine Engländerin, fand ihren vorigen Job auf einem Cruiseship spannender als das hier. Aber Indien gefällt ihr gut. Als ich nach oben blicke, wo die Beleuchter auf den schmalen Brettern balancieren, sagt sie: „Some day, this whole shit is gonna come down!“
Wir warten noch einmal eine halbe Stunde, bis sich auch der letzte Star zum Set bequemt. Dann die finale Szene. Liz und ich müssen klatschen. Ich bekomme meine Hände kaum mehr auseinander, so klebrig sind sie. Nach drei Wiederholungen dann unerträgliche Spannung. Und dann endlich kommt es über die Lautsprecher: „It’s a wrap!“ – Drehschluss! Wie eine aufgescheuchte Herde Wasserbüffel versuchen alle 250 Menschen, sich gleichzeitig durch die etwa einen Meter breite Tür zu zwängen.
Dann alles noch einmal rückwärts: Klamotten aus, Flip Flops an. Handy gegen Garderobenmarke. Unterschrift, nachdem die nassgeschwitzten Klamotten abgezählt wurden. Draußen sammeln, dann alle wieder in den Bus. Der 2nd AD verteilt die 500-Rupee-Scheine an die völlig erledigten Menschen, deren einziger Plan es nun ist, eine noch offene Bar mit kaltem Bier zu finden. Dann bedankt er sich nett und winkt in die Runde. „Did you have fun?“, fragt er, ohne die Antwort darauf abzuwarten. Jerome hechelt in meine Richtung: „It was the most fun when it was finally over!“
Ich rechne fest mit ausgerollten roten Teppichen, wenn ich das nächste Mal hierher fliege…
Update Dezember 2014!! Hier ein Screenshot aus dem Film – ich direkt neben dem Überstar Sharukh Khan!
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hello marco,
jetzt bin ich endgültig angefixt.
hab ab deiner reise mit den tuktuks nichts mehr von dir gelesen, auch die bücher verpaßt.
hole ich nach!
wie lange bist du noch unterwegs?
vielleicht mal wieder treffen, wenn du wieder da bist. gern auch draußen am see..
alles gute,
seb
Hey, Sebastian! Danke Dir, das freut mich zu hören! Ich hatte auch ne Weile nicht viel geschrieben, aber von jetzt an gibt es mindestens zwei Posts pro Monat. Ich bin noch bis zum 3. unterwegs, aber ab dem 9. dann auch schon wieder. Aber im Frühling können wir uns gerne mal treffen! Und klar, gerne auch am See! Viele Grüße aus Goa,
Marco
wow also… DAS nenn ich mal nen gelungenen Bericht. Zufällig ist der offizielle Trailer zu Happy New Year gestern erschienen und soll, laut vieler Pressestimmen aus Indien und natürlich den Schauspielern, ein riesen Erfolg werden. Ich danke dir herzlich für deinen Bericht, da auch ich großes Interesse am Schauspiel habe. Vorallem aber freue ich mich auf den Film um ausschau nach dir zu halten ;)
Hier der Link zum offiziellem Trailer:
Wow, danke Dir, Katrin! Der Trailer ist ja wohl der Hammer! Jetzt kann ich es auch kaum mehr erwarten, den Streifen zu sehen. Wenn Du ihn dann siehst: Ich bin der neben Sharuk Khan! ;-)
Pflichtfilm! Diwali 2015!
Super erzählt, ich hab ganz schön gelacht.
Sehr Cool :D