Zitterpartie über Tage – Die (fast) unüberwindliche Grenze Liberia-Elfenbeinküste

Tag 1

Morgendunst über Monrovia, Hauptstadt von Liberia. Punkt 7 Uhr ist Abfahrt für unsere Gruppe, Ziel: Elfenbeinküste. Ich habe nur eine Stunde geschlafen, und auch diese nicht im Hotel. Nicky, NGO-Girl aus Oregon. Gestern beim Salsa-Tanzen kennengelernt. Wöchentlicher Latino-Abend für die Expats, in einem der ärmsten Länder Afrikas. 

Blick über Monrovia tags zuvor.
Monrovias Slum Westpoint, einer der größten Westafrikas.

Zwei geschlagene Stunden, um erst mal aus der Stadt rauszukommen. Samstag ist Markttag. Alles brummt. Stände sind gerne auch mal mitten auf der Kreuzung aufgebaut. Jeder fährt, wie er gerade will. Keiner fährt gut. Ich hole auf der Rückbank Schlaf nach.

Weitere acht Stunden in unseren zwei Land Cruisern durch die sengende Hitze Liberias. Strassen und Staubpisten wechseln sich ab. Kilometerlange chinesische Baustellen ziehen vorbei. Das rechte Fenster lässt sich nicht öffnen, das linke nicht schließen. Ich sitze links, mein Gesicht bereits jetzt rostrot vom Staub. 

Auto-Wracks am Strassenrand. Kinder verkaufen gekochten Maniok und gegrillte Leber-Spieße. Improvisierte Schranken im Nirgendwo; charmante Polizisten in gefälschten Gucci-Shirts wollen geschmiert werden. Manchmal aber auch einfach nur ein kurzes Schwätzchen. 

Der feine Staub frisst sich in jede Pore; der Schweiss rinnt uns in Strömen. Der Toyota schüttelt sich auf den löchrigen Pisten wie ein Hund im Regen. Unsere Gruppe ist das gewöhnt, wir sind schon seit dem Senegal zusammen unterwegs. Fahren ist Notwendigkeit ist – ja, fast schon Meditation. Fahren ist allemal besser als nicht fahren. Als etwa ein gebrochenes Lenkgestänge. Hatten wir nämlich auch schon.

Erzwungene Pause im Staub dank gebrochenen Lenkgestänges, ein paar Tage zuvor in Guinea-Bissau.

Drei Stunden für 100 Kilometer; Zeit ist hier relativ. Die stetige Bewegung bewirkt eine Art Trance. Unsere Ohren klingeln vom Sound des Dieselmotors. Der alte Geländewagen klappert sich ausdauernd voran. Es riecht nach brennendem Müll, dann nach immergrünem Urwald. Mal dröhnt Afro-Dance aus großen Boxen, mal sirren die Insekten des Regenwaldes. Dann werden die Dörfer langsam kleiner. Märkte, Dschungel-Szenarien, simple Hütten ziehen vorbei. Studenten haben eine Strassensperre aus Bäumen errichtet, um für bessere Bedingungen zu demonstrieren. Wieder wechseln ein paar Scheine den Besitzer. Die Bäume verschwinden anstandslos. 

Endlich an der Grenze, unsere Handys nun ohne Empfang. Passt gut, denn alles kommt hier irgendwie zum erliegen. Staubige Trucks, Makeshift-Shops, Menschen im Transit-Modus, Benzin in Einweckgläsern. Typisch marodes Grenzdorf, es könnte überall sein. Ich liebe diese Orte!

Warten auf den Grenzer, warten auf den Stempel. Warten als Aktivität. Eier-Baguette und Kaffee, wieder und wieder. Ein weiterer schlecht gekühlter Softdrink im Staub. Neben uns Pick-Ups, fast grotesk überladen.

Photo Credit: Juan/Traveller’s Buddy

Menschen, die ebenfalls warten. Auf was auch immer. Das ganze Dorf eine einzige Pausetaste. Könnte fast reizvoll sein, wenn wir nicht eine wichtige Mission hätten. Unser Flug von Elfenbeinküste zurück nach Hause geht in vier Tagen. Doch dann Gewissheit: Heute passiert hier gar nichts mehr. Die Hoffnung, sie ruht auf morgen früh. Wir beschließen zu bleiben.

Kekse und Bier zum Dinner. Sollte man öfter machen. Direkt neben den simplen Zimmern ein Club mit riesigen Boxen, heute zum Glück nicht geöffnet. Ich frage, wann es denn wohl wieder Strom gibt. Die Vermieterin sagt: „You will know it, when the lights come back on.“ Leuchtet ein.

Schlafen in einer Beton-Zelle bei 35 Grad und 90% Luftfeuchtigkeit. Kakerlaken groß wie Mäuse, die Luft so dick, dass man sie schneiden könnte. Das Kissen scheint mit Papier gefüllt, unter dem Laken knirscht grobes Plastik. Der Ventilator hustet quietschend den Muff weg.

Tag 2

Spektakulärer Sonnenaufgang beim Hahnenschrei. Dunst über den Hügeln.

Duschen im Halbdunkel mit einem Eimer Brunnenwasser. Eier-Baguette und Zucker-Kaffee am neuen Lieblingsstand. Einheimische im Sonntagsstaat. Kinder äffen unsere Gesten nach. Frauen bestücken ihre Verkaufsstände. Hühner und Ziegen zanken sich um den Müll am Boden. Wieder warten, warten, warten. Dann abermals Gewissheit: wir kommen einfach nicht rein ins siebte Land auf dieser Reise. Jedenfalls nicht ohne ein Laissez-Passer, einen weiteren Stempel aus der ivorischen Botschaft. In Monrovia. Abbruch, Resignation. Widerwillige Rückkehr in den Staub.

Zwei Stunden Fahrt bis in Liberias zweitgrößte Stadt Ganta. Unser Guide Marlon parkt uns in einem Hotel und nimmt unsere Pässe an sich. Er will mit einem Sammeltaxi zur Botschaft in Monrovia und dort alles regeln. Zwei Tage Wartezeit liegen vor uns. Minimum. Mittlerweile lässt mich alles kalt. Afrikanischer Gleichmut? Liegt vielleicht auch an meinen Pillen gegen Reisekrankheit, von denen ich täglich zwei einwerfe. 

Dann plötzlicher Plot-Twist: Nicky schreibt. Sie will mich wiedersehen! Ich texte Marlon, werfe ein paar Klamotten in eine Tüte, leihe mir eine Powerbank und wechsle mein Shirt. Kurz später sitze ich bereits mit ihm und zehn weiteren Leuten in einem winzigen Nissan Micra gen Hauptstadt. Eines der mitreisenden Kinder schmiert mir Ölsardinen ans Bein. So lebendig muss sich Leben anfühlen!

10 Dollar haben Marlon und mir jeweils einen halben Beifahrersitz erkauft.

Fahren ist besser als nicht fahren. Fahren ist alternativlos. Sechs Stunden bis Monrovia, nicht drei wie ketzerisch angekündigt. Im Kofferraum finden bei offener Klappe noch mal vier Leute Platz. Sie singen, sanft und melodisch. Die Abgase ziehen nun von hinten zu uns rein. Ich schlafe ein.

Am Stadtrand wirft man uns raus. Dutzende Motorradtaxifahrer werben um uns, gestikulierend am Rande der Aggresivität. Erstaunliche Dunkelheit, doch überall lärmen Autos und Menschen. Ohne Marlon wäre ich hier wohl in Habachtstellung. Doch selbst er agiert mehr als vorsichtig. Dann Einigung mit zwei muskulösen Fahrern. Auf dem Sozius ihrer Motorräder brausen wir durch die schwüle Nacht. Marlon kommt im Zentrum unter, ich lasse mich zum streng gesicherten Compound der NGOs und Botschaften bringen. Der bewaffnete Security-Mann ist im Bilde und lässt mich eintreten. Nickys Wohnung liegt im zweiten Stock. Sie empfängt mich in Jogginghose, mit einem Lächeln im Gesicht und Strickzeug in der Hand. Sie hat Spaghetti Bolognese gemacht. Ein europäischer Moment mitten in Afrika. Der Kontrast zur Fahrt könnte größer kaum sein.

Tag 3

06:30 Uhr, der Wecker schrillt. Nicky muss früh zur Arbeit und wirft mich raus. Sie küsst mich zum Abschied, der Security winkt mir feixend hinterher. Ich laufe in den beginnenden Tag. Mit einem Abenteuergefühl, so stark, dass es mich regelrecht übermannt in der aufgehenden Sonne Monrovias. Im Überschwang latsche ich ins Hotel Grand Royal und bestelle mal eben das teuerste Frühstück auf der Karte. Kurz später schon der Anruf: Marlon hat unsere Laissez-Passers!

Die Reise wiederholt sich, doch diesmal alles rückwärts. Motorradtaxis zum Stadtrand. Verbeulter Kleinwagen gen Südosten. Alle naselang Strassensperren zum abkassieren. Meine gute Laune macht mich übermütig, mehrmals verweigere ich das Bakshish. „Was sollen Touristen von Eurem Land denken?“, frage ich die feisten Wegelagerer. Sie haben darauf keine Antwort. Faszinierenderweise lassen sie uns passieren.

Freudiges Wiedersehen mit den Anderen am Pool des Hotels. Seit gestern sitzen sie hier rat- und tatlos im Sound des Hip Hop, der aus den großen Boxen schallt, und beobachten die Einheimischen, die hier hauptsächlich für Insta-Selfies vorbeischauen. Ich wasche mir schnell Staub und Abgase vom Körper und geselle mich dazu. Es gibt heute nichts mehr zu tun außer Bier trinken und Anekdoten austauschen. Das gemeinsame Abendessen fühlt sich an wie Weihnachten mit der Familie.

Illustre Reisegruppe: Juan, Clemens, Marlon, Moussa, Dominik, Anne, ich und Janina.

Tag 4

Der nächste Tag beginnt schon wieder vor Sonnenaufgang. Auf ein Neues wollen wir die ersten beim strengen Grenzbeamten sein. Doch wieder kommt alles anders als gedacht: Der ältere der beiden Land Cruiser springt nicht an. Fast noch im Halbschlaf schieben wir ihn auf die Strasse. Und geben uns dort selbst Starthilfe. 

Routinierte zwei Stunden durch die staubige Baustelle bis zur Grenze. Winken uns die Menschen am Strassenrand, da sie uns mittlerweile kennen?

Großes Hallo an unserem Kaffee-Stand. Eine Runde Baguette mit Ei, bitte! Dazu pechschwarzer Instant Kaffee und ein lächelndes Kopfschütteln des Stand-Betreibers. Und da sitzen wir schon wieder. Stunde um Stunde. Im Zeitlupentempo des Grenzstädtchens, wir kennen es schon auswendig.

Erst Zuversicht, doch schon bald valide Zweifel. Das Laisser Passer jedenfalls ist nicht der erhoffte goldene Schlüssel. Marlon ist schon eine Weile im Büro des Grenzers und taucht auch nicht wieder auf. Wir wissen nicht, was er dort macht. Woran es hängt. Und können nichts tun außer warten. Mal wieder. Keine Beschäftigung, kein Handy-Empfang, keine Lust mehr auf Soft Drinks oder Eier-Baguettes.

Einer holt Obst im kleinen Ort, einer lässt sich vor einer Hütte die Haare schneiden, zwei spielen mit den lokalen Kindern in einem LKW-Wrack. Ereignisse, wie zufällig aneinandergereiht. Ein erneuter Tag verrinnt uns zwischen den Fingern, schmilzt in der unnachgiebigen Hitze Liberias. Im Grenzfluss derweil planschen die lokalen Kids und freuen sich. Fast möchte man auch hineinspringen.

Je größer die Langeweile, desto mutiger unsere Gruppe. Schon bald sitzen wir nicht mehr am Kaffee-Stand, sondern im Niemandsland zwischen den Schlagbäumen. Mittlerweile glaubt nicht mal mehr die Hälfte von uns an einen Erfolg. Geduld bekommt hier eine ganz neue Dimension.

Wir nagen an Snacks, die wir bei einer Verkäuferin erstanden haben. Liegen im Schatten eines Baumes und dösen. Spielen in unserer Verzweiflung Stadt, Land, Fluss. Dann irgendwann gar nichts mehr. 

Unser Schweizer Mitreisender Dominik, mit allen Reise-Wassern gewaschen, verblüfft uns auf ein Neues. Er schafft es doch tatsächlich, mobiles Internet zu empfangen. Auf einem Baumstumpf stehend und mit ausgestrecktem Arm. Er checkt Flüge. Hoffnung. Spannung. Schließlich erneute Ernüchterung: Acht Stunden müssten wir zurück nach Monrovia, zumindest Marlon und ich kennen die Strecke mittlerweile wie unsere Westentasche. Von dort dann im Flugzeug ins entfernte Ägypten, erst dann nach Elfenbeinküste. Scenic Route durch Afrika gewissermaßen. Doch die Reisedauer ist nicht das einzige Problem. 600 Euro müsste jeder von uns für diese Variante berappen. 

In einem Anfall von Verzweiflung bieten wir dem Grenzer eine stattliche Summe Geld an. Wir haben nichts mehr zu verlieren. Alles ist günstiger als die Flugzeug-Variante. Und alles ist uns lieber als noch ein weiterer Tag des Wartens. Anders gesagt: Die Verhandlungs-Position des Grenzers ist gut. Und siehe da: Entgegenkommen!

Die Stempel Liberias sind jetzt plötzlich schnell gemacht. Für jene der Elfenbeinküste latschen wir mal eben über eine Brücke ins Nachbarland. Auf einmal sind alle freundlich. Schulterklopfen und Lächeln allerorten. Sogar ein Abschiedsfoto ringt man uns noch ab. Und dann sind wir tatsächlich drüben.

Am ersten kleinen Shop kaufen wir Berge von Bier und Chips. Es gibt nun wirklich was zu feiern.

Begleitet von einem wundervollen Sonnenuntergang rollen wir ins letzte Land auf dieser Reise, Bierschaum im Bart und ein debiles Grinsen im Gesicht. Nach 60 Stunden Wartezeit! Die ich so schnell sicherlich nicht mehr vergessen werde. 

 

Epilog: Tag 5

Tags drauf an der größten katholischen Kirche der Welt in Yamoussoukro.

 

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