Son of a beach – Tourguide in den USA

First glimpse at Yosemite National Park

Vor acht Jahren machte ich mich auf ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, um dort für eine Weile als Tourguide zu arbeiten. Schön war’s! Und verdammt anstrengend! Hier mein Bericht von damals:

Tourguide in den USA.  Was genau heisst das?

Erst mal, dass ich jeden Tag arbeite wie ein Tier, ohne dafür jemals wirklich Kohle auf meinem Konto zu sehen. Der Traum also eines jeden Hochschulabsolventen! Andererseits bleibt auch die Frage offen, wo die Linie zwischen Arbeit und dem Verbringen einer wirklich guten Zeit zu ziehen ist.

Ich erwache in der Regel mit der Sonne auf dem Dachgepäckträger meines Vans, der mir als gemütliches Nest dient. Ich versuche dann flugs zu orten, wo ich mich befinde, und blicke für gewöhnlich in wundervolle Landschaften, im besten Fall sogar auf das geliebte Meer, während meine Passagiere mich schon zu diesem Zeitpunkt aus grossen verschlafenen Augen anstarren (was sich normalerweise im Laufe des Tages nicht mehr grossartig ändert). Wie eine junge Berggams springe ich sodann die Leiter am Heck meines Wagens hinab, und sorge dafür, dass meine kleinen internationalen Freunde ihre Mägen füllen und sodann unser Camp abbauen. Jeden Morgen lade ich ihr gesamtes Gepäck nebst allen Küchenutensilien, Zelten, Proviant und Feuerholz aufs Dach des Vans, nur um alles dann am nächsten Ort wieder abzuladen. Nur selten verbringen wir mehrere Nächte am selben Ort.

Und binnen weniger Minuten sitzen sie dann aufgreiht wie die Hühner in meinem 97er Dodge Ram, dem ich den Namen „Rupert“ gegeben habe, und wir pflügen unseren Weg durch die westlichen Staaten Kalifornien, Arizona und Nevada.

Rupert ist eine treue Seele. Alle technischen Probleme beheben sich von selbst, legt man nur ein wenig Geduld an den Tag. Leute, die mich und meine technischen Fähigkeiten näher kennen, wissen, dass das Warten auf seine selbstheilenden Kräfte auch meine einzige Option ist.

An dieser Stelle sehe ich erneut fragende Gesichter vor den Monitoren. Busfahrer? Der Marco, mit dem ich damals fast in die Leitplanke…. dessen Autos immer recht schnell das Zeitliche segneten… auf dessen Fahrten selbst hartgesottenene Helldriver stets schwitzige Hände bekamen…? Mir bleibt nichts übrig, als diese Frage zu bejahen. Ich bin es. Jedoch möchte ich anmerken, dass ich in den letzten Jahren etwas besser geworden bin! Und doch bin ich oft ziemlich froh, das meine kleinen Freunde, die mir ohne zu Zögern ihr Leben anvertrauen, nichts über meine frühen Fahrversuche wissen!!

Doch bin ich nicht nur der Fahrer dieser ahnungslosen Geschöpfe. Ich bin sozusagen alles in einer Person. Ich erquicke meine Passagiere mit ausgefeilten Monologen über die amerikanische Flora und Fauna, Temperatur- und Distanzumrechnungen; ich helfe ihnen beim Ab- und Aufbau der Zelte und beim Kochen; ich kaufe mit ihnen ein; ich ordne meine Quittungen, in der Hoffnung, wenigstens 85 Prozent der Ausgaben wieder zurückzubekommen; ich fungiere als Vermittler zwischen den unterschiedlichsten und – wenn ich das anmerken darf – skurrilsten Charakteren, sowie als Übersetzer, Psychologe, musikalischer Alleinunterhalter, Kredithai. Ich mache Reservierungen für Campingplätze, die schon Monate im Voraus ausgebucht sind, verhandle bis aufs Blut mit ausgefuchsten Limousinenfahrern in Vegas, lasse mich von bleichen Engländern im Morgengrauen anschreien, die von Jugendlichen um ihren Schlaf betrogen wurden, die nur vermeintlich meiner Gruppe angehörten. Ich stehe dampfend in strömendem Regen und setze meine Gesundheit aufs Spiel, nur um meiner Gruppe aus unzureichendem Material und mit vorsintflutlichem Werkzeug ein Regendach zu improvisieren. In meinen freien Momenten feile ich dann an Konzepten, die auf die Verbesserung der Gruppenharmonie, die Optimierung der Ernährung oder die Verringerung tätlicher Angriffe untereinander abzielen. Nach ein paar von meiner Gruppe erbettelten Bieren sinke ich zu guter Letzt unter dem Sternenhimmel auf meiner aufblasbaren Isomatte in meinen verdienten Schlaf.

Ich wünsche mir in diesen Momenten nichts sehnlicher, als dass sie selbst darauf kommen, in welche Richtung der Reissverschluss ihres Schlafsackes schliesst, so dass sie mir diese eine Frage nicht stellen müssen!

Meine erste Tour war eine Chartertour, die ich nicht in Rupert, sondern einem nagelneuen Ford-Van fuhr. Aufgebrochen im Morgengrauen, musste ich einem Mann chinesischer Herkunft hinterherfahren, der nur etwa 150 cm mass, einen ausgefallenen Hut trug und mich über ein Walkie Talkie in Pidgin-Englisch zu Geschwindigkeitsübertretungen von bis zu 30 % antrieb. San Fran – LA – Citytour – Universal Studios – Disneyland – San Fran in nur zweieinhalb rasanten Tagen. Und der Independence Day in Huntington Beach!

Auf meiner zweiten Tour, einer sogenannten Western Sun, fuhr ich parallel mit Kevin, einem grossen lockigen Typ von der Ostküste, der – glaubt man den Aupairs (was man für gewöhnlich nie tun sollte, wie meine kurze Erfahrung mit dieser ausgefallenen menschlichen Spezies zeigt) – verblüffende Ähnlichkeit mit Steve aus Beverly Hills 90210 hat. Kevin alias Steve jedenfalls verfügte über rudimentäre Kenntnisse des Gitarrespielens und kannte die Texte von bis zu drei Songs, und so zupften wir unsere Gruppen Nacht für Nacht in den Schlaf, was einen erheblichen Mangel an Schlaf unsererseits zur Folge hatte. Dies wiederum schien Steve nicht besonders zu beeindrucken; ich jedoch war am Ende der Woche ein seelisches Wrack.
Meine Gruppe hatte den Schlafmangel ausgenutzt, und meine Nerven mit großen Löffeln aus Dreistheit und unverhältnismäßiger Lebensunerfahrenheit restlos aufgegessen. Und so ertappte ich mich dabei, wie ich noch am letzten Tag ihre Namen verwechselte.

Traurig genug, doch war dies bei weitem nicht der einzige Fauxpas in dieser Woche. Schon am dritten Tag wurde unsere bis dato recht angenehme Fahrt von der Highway Patrol je gestoppt. Der schwarz-weiss gestreifte Wagen setzte sich hinter uns, alle 500 Lampen gingen auf einen Schlag an, und ich wurde über Lautsprecher in ohrenbetäubender Lautstärke zum Anhalten aufgefordert. Meine ganze Gruppe war in Aufruhr. Ich bremste ab und fuhr an den ausgetrockneten Strassenrand Arizonas. Ein sonnenbebrillter Cop näherte sich mir, seine Hand an der – erstaunlich grossen – Waffe, und fing ohne Einleitung an, mich anzuschreien, was ich irgendwie unadäquat fand, jedoch gegen mein sonstiges Naturell für mich behielt. Nachdem er jedoch auf meinem Reisepass gesehen hatte, dass ich aus einem Land ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen stamme, und meine charmante Assistentin ihm ihr leuchtendstes oregonesisches (?) Lächeln geschenkt hatte, liess er mich mit einer Verwarnung von dannen ziehen, nicht jedoch ohne zu betonen, dass ich für die gemessene Geschwindigkeit normalerweise ein paar Tage in den Knast gegangen wäre.

Am Tag nach Vegas jedoch war dann der Tiefpunkt dieser Tour erreicht. Ein Kater mittelmäßiger Ausprägung sowie erneuter Schlafmangel führte dazu, dass ich mein Portemonnaie mit allen Papieren in einem Casino ausserhalb der Stadtgrenze verlor, während meine Passagiere gerade elektrolytehaltige Getränke in sich hineingossen und sich gegenseitig die Schweissperlen auf ihren Stirnen trockneten. Ich bemerkte den Verlust, als ich im Begriff war, fünf Cheeseburger a 79 Cent zu erstehen, da ich dies für einen fantastischen Deal hielt. Und tatsächlich hatte eine treue amerikanische Seele mein ganzes Hab und Gut an der Theke abgegeben, ohne auch nur eine einzige Dollarnote zu entwenden. Diesen Schock noch in den Gliedern, vermochte mich ein geplatzter Reifen in Death Valley nicht noch erheblich mehr aus der Ruhe zu bringen. Meine Schutzbefohlenen standen mit Sonnenhüten und Wasserflaschen neben dem Van und fotografierten den bis zur Unkenntlichkeit zerfetzten Reifen. Wolken aus schwarzen Fliegen umkreisten den gestrandeten Rupert, während ich bei angenehmen 47 Grad im Schatten zunächst mal an den Punkt gelangen musste, an dem ich verstand, wie man bei meinem Gefährt überhaupt einen Reifen wechselt.
Ein erhabener Moment.

Abgesehen von einigen kleinen Umwegen, die ich fuhr, da ich falsch oder schlichtweg nicht abgebogen war, sollte ich vielleicht noch den Tag erwähnen, an dem ich die falsche Ausfahrt aus dem Yosemite National Park wählte.
Dieser auf geographischer Unkenntnis sowie Ungeduld im Kartenlesen beruhende Fehler hatte zur Folge, dass unsere Fahrt in etwa zweieinhalb Stunden länger dauerte, die uns auf winzigen Bergstrassen ohne Leitplanke kontinuierlich auf etwa 2000 Meter, wieder runter und dann wieder rauf führten. Als ich im Rückspiegel in Gesichter blickte, die von Übelkeit und Unglauben zeugten, gestand ich reumütig meinen Fehler ein, nicht jedoch ohne die Vorzüge der malerischen Alternativroute hervorzuheben. An etwa diesem Punkt entschloss sich meine Gruppe, die sich schon bis zu diesem Punkt durch stark ausgeprägte Loyalität ausgezeichnet hatte, unseren (nicht von mir gewählten) theme song „On the road again“ in „On the wrong road again“ umzuwandeln. Dieses Lied möchte ich in den nächsten dreieinhalb Jahren bitte so selten wie möglich hören!

Zu guter Letzt fuhr ich in San Francisco mit meinem Van noch in ein Parkhaus, dessen Höhe dafür nicht gemacht war, wie ich am knarzenden Geräusch bei meiner Einfahrt merkte. Hatte ich das hysterische Winken der dort arbeitenden Menschen zunächst für einen besonders freundlichen, für die Westküste typischen Willkommensgruss gehalten, wurde mir die Bedeutung dieser Geste sodann schlagartig bewusst. Doch auch hier hatte ich aussergewöhnliches Glück. Meine Plane, die den Dachgepäckträger abdeckt, hatte einen kleinen, kaum wahrnehmbaren Kratzer, während das Tor des Parkhauses vor meiner Ankunft ohne Frage besser ausgesehen hatte. Ich entschuldigte mich höflich und legte den Rückwärtsgang ein. Beherzt drückte ich aufs Gas, während vier oder fünf Asiaten in roten Overalls versuchten, das Tor in seine ursprüngliche Form zurückzubiegen und mir im gleichen Moment lauthals die Pest an den Hals wünschten…

Nach ein paar Tagen Ruhe startete ich dann 2 weitere Touren mit dem Namen California Dreaming, die zusätzlich zu der bereits beschriebenen Tour noch eine entspannte Woche von San Francisco über Big Sur, Santa Barbara und LA nach San Diego die Küste runter umfasst. Meine Passagiere waren diesmal ausnahmslos verzogene junge Gören aus Deutschland, die über RUF Reisen gebucht hatten. Zum Glück konnte ich meine liebste Schwester Natalie in die erste Tour reinschmuggeln, was mir ermöglichte, nicht jede Minute mit den Kids zu verbringen, und zugleich ein wenig Heimat in der Fremde bedeutete. Alles in allem waren aber auch beide Gruppen recht unterhaltsam, wenngleich ich überrascht war zu sehen, wie viele Menschen im zarten Alter von 16 bis 21 psychisch bereits eine gewaltige Macke haben.

Speziell die zweite Tour raubte mir auf diese Weise all meine Energie. So wachte ich zum Beispiel in Vegas gegen 4 Uhr morgens von einem Klopfen an meiner Tür auf. Natürlich sprang ich voller Elan aus meinem Bett, voller Vorfreude und Neugierde darauf, welches Problem es denn wohl diesmal zu lösen galt. Vor meiner Tür stand das Problemkind der Gruppe und eröffnete mir nonchalant, dass sie sich nun umbringen werde. Ich war versucht zu sagen: „Cool, wir sehen uns dann beim Frühstück.“ Jedoch merkte ich dann, dass sie das tatsächlich ernst meinen könnte, und so schlug ich mir eine weitere Nacht mit dem Versuch um die Ohren, die Probleme anderer Menschen zu lösen. Und auch wennn ich nicht glaube, dass diese Dinge per definitionem Teil meines Jobs sind, bin ich doch wirklich froh, dass erwähntes Mädel noch immer am Leben ist. Auch froh bin ich aber, dass die komplette Gruppe am letzten Samstag das Land verlassen hat!

Soviel einem dieser Job abverlangt, man bekommt auf jeden Fall auch eine Menge zurück. So sass ich oft grinsend auf dem Fahrersitz von Rupert, während die schönsten Landschaften an mir vorbeizogen und meine Passagiere einander im Schlaf vollsabberten.
Schon lange habe ich nicht mehr so viel Musse zum Musikhören gehabt!
In Malibu hockte ich auf meinem Dach, bevor ich in meinen Schlafsack kroch, und blickte ewig aufs Meer, mir selbst erklärend, dass ich dafür auch noch Geld bekomme. In Yosemite stand ich auf drei Meter Entfernung einem grossen Reh gegenüber, dass nach etwa einer Minute zu dem Entschluss kam, ich müsse wohl harmlos sein, und einfach weiterfrass. In LA fuhren wir vorm Haus der Osbournes auf und ab, während ich Black Sabbath bis zum Anschlag aufgedreht hatte und mit Bremse und Gas diese Hydraulik-Teile aus den Hip Hop Videos zu imitieren versuchte. Wanna take a ride in my 7.5?!
Nicht zu sprechen von all den Nächten, in denen ich mit anderen Trekleadern und Leuten von überall her Gitarre spielte und Lieder in die Dunkelheit grölte.

Viele dieser kleinen Erlebnisse machen es aus. Ganz abgesehen davon, dass ich fast jeden Tag Sonnenschein habe und so gut wie immer in Flipflops rumlaufen kann.
And if you have these kinds of dreams, it`s Californication!

Und so ist der Plan im Moment, noch eine grosse Tour zu fahren, bevor ich dann vermutlich Richtung Mittelamerika ziehen werde. Ich habe mir eine Tour gewünscht, die auch nach Utah und New Mexico geht. Hoffe, das klappt. Jedes einzelne mal in San Diego hörte ich jedoch bereits aus Tijuana Mexico lauthals nach mir rufen. Wegen meines Visums konnte ich the land of the free bisher jedoch nie verlassen. Isn`t it ironic?

Rupert jedenfalls ist nach den 9000 Meilen, die er mit mir verbrachte, nun in Rente gegangen. Ohne Dachgepäckträger und Aufkleber wirkt er ziemlich nackt. Gut, dass er nicht sprechen und seinem zukünftigen Käufer von seinen Erlebnissen mit mir berichten kann! Alles in allem bedeutet das aber auch, dass ich auf meiner nächsten Tour zum ersten mal einen Tempomat und elektrische Fensterheber haben werde!

Hier findest Du alles zu Deinem eigenen perfekten Road Trip durch Kalifornien, Arizona und Nevada.

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