Jogging in Mumbai? Großartige Idee…
Wo man auch nachschaut, man findet stets unterschiedliche Angaben zur Einwohnerzahl Mumbais. Von 15 Millionen kann man wohl mit Sicherheit ausgehen, vielleicht sind es auch 20. Manche behaupten, es seien gar 24. Wie diese auf sieben Inseln gebaute Stadt mit dieser Menge an Menschen überhaupt funktionieren kann, ist einem bereits nach kurzer Zeit ein Rätsel. Der größte Teil der Infrastruktur stammt noch von den Engländern, und diese sind ja bekanntermaßen schon eine ganze Weile aus Indien fort.
Und doch habe ich mich entschlossen, gerade hier meine Serie ‚Joggen in…‘ fortzusetzen, die ich seinerzeit mit Saigon begonnen habe: Jogging in Mumbai. Es folgen meine Ratschläge an all jene, die bescheuert genug sind, sich ebenfalls auf einen Lauf in Bombay zu begeben.
Prolog: Jogging in Mumbai für Vorsichtige
Man kann auch einfach am Marine Drive entlangjoggen, am besten ausgehend vom Chowpatty Beach. Dann sind fast alle weiter unten genannten Gefahren hinfällig. Der Gehweg ist breit und sauber und hier joggen auch hunderte Einheimische. Aber ein bisschen langweilig ist das doch auch!
Jogging in Mumbai: Orientierung
Eine erfolgversprechende Methode, sich nicht zu verlaufen, ist, sich die beeindruckenden Kolonialgebäude gut einzuprägen. Die Stadt ist übersät von diesen englischen Bauten, deren schiere Größe einem den Atem raubt.
Doch ist man nur einmal falsch abgebogen, hat sich diese Strategie bereits erübrigt. Und man sollte in jedem Fall davon ausgehen, dass man sich verläuft. Die guten Nachrichten: Fast alle Inder sprechen ausreichend Englisch, um sie nach dem Weg zu fragen. Die schlechte: Kein Inder würde sich jemals trauen zuzugeben, dass er den Weg nicht kennt. Stattdessen gibt es einen kurzen ‚head wobble‘ und dann denkt er sich einfach schnell einen aus. Man sollte also immer gleich mehrere Einheimische fragen, es gibt ja schließlich genug davon. Erst wenn sich die Wegbeschreibungen von drei bis fünf Indern gleichen, hat man eine gute Chance, wirklich dem richtigen Weg zu folgen.
Jogging in Mumbai: Die Route
Man kann es sich natürlich einfach machen und einfach in einem Park laufen gehen. Doch selbst diese warten mit ungeahnten Hindernissen auf. Läuft man beispielsweise in ein Cricket-Spiel hinein, so kann es passieren, dass man kurzerhand aufgefordert wird, sich zu setzen, um den Spielablauf nicht weiter zu stören. Die wenigsten Menschen im Westen wissen, dass so ein Cricket-Spiel mitunter Tage dauern kann…
Stattdessen empfehle ich eine Strecke, die vielleicht ein Stück Park beinhaltet (Cricket-Spiele besser weitläufig umgehen), sonst aber durch den Wahnsinn dieser Stadt führt. Schließlich will man ja auch etwas erleben!
Jogging in Mumbai: Straßenverkehr
Gegen den Verkehr in Mumbai mutet jener Saigons an wie der eines ländlichen Dörfchens. ALLE Straßen sind IMMER VOLL! Stoßstange an Stoßstange fahren und stehen moderne Fahrzeuge, teils aber auch uralte Vehikel, die in puncto Lautstärke und Abgasausstoß an Dampfmaschinen erinnern.
Da es die Inder bis heute nicht geschafft haben, sich auf verbindliche Regeln im Straßenverkehr zu einigen, wird bei jeder Gelegenheit gehupt. Statt irgendwohin zu schauen außer nach vorne, warten einfach alle auf den Huphinweis der anderen Teilnehmer. Und dieser erfolgt im Sekundentakt.
Ansonsten gibt es im Grunde nur zwei Regeln zu beachten: Der Stärkere hat Vorfahrt. Und: Der Stärkere bist niemals Du!
Dass eine Fußgängerampel grün zeigt, heißt noch lange nicht, dass nicht trotzdem Fahrzeuge aus allen Richtungen kommen. Wer in Mumbai die Zebrastreifen auf die Straßen gemalt hat, muss einen ausgeprägten Sinn für Humor gehabt haben. Hinzu kommt, dass der Umschwung der Ampeln von grün auf rot im Bruchteil einer Sekunde erfolgt. Wenn mich nicht alles täuscht, springt die andere Ampel bereits vorher auf grün, sodass man im Grunde noch während einer Grünphase problemlos überfahren werden kann.
Auch gut zu wissen: Vernimmt man die Melodie von ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘ oder gar Celine Dions Schmachtfetzen ‚My heart will go on‘, so heißt das, dass gerade jemand rückwärts fährt. Unnötig zu erwähnen, dass auch hierbei stets ausschließlich nach vorne geschaut wird.
Jogging in Mumbai: Bodenbelag
Das Motto scheint zu sein: Nichts muss, alles kann. Wackeln vor allem. Denn keine der Bodenplatten ist betoniert, keiner der Kanaldeckel fixiert, kein Gehwegstein auf derselben Höhe wie sein Nachbar. Wo die Löcher klaffen und wie tief sie sind, lässt sich oft nicht sofort erkennen, da der Boden fast überall von einer dicken Schicht Müll übersät ist.
Jogging in Mumbai: Sonstige Hindernisse
Wo soll ich anfangen? Oft gibt es keine Gehwege, dann heißt es geschickt die geparkten Fahrzeuge zu umschiffen, ohne dabei von den nicht geparkten mitgenommen zu werden. Gibt es doch mal Gehwege, hat man nicht selten auf ganzer Breite eine Bushaltestelle draufgebaut. Auf vielen Gehwegen haben auch tüchtige Ladenbesitzer ihr gesamtes Angebot ausgestellt, sodass die träge Masse aus ätherisch dahinwabernden Touristen und gegen Außeneinflüsse völlig immunen Einheimischen oft gerade mal wenige Dezimeter Breite hat, um voranzukommen.
Dazu gibt es natürlich noch Bambusgerüste, die mit dünnen Fäden zusammengehalten werden und auf denen in schwindelerregender Höhe Menschen barfuß Häuser anstreichen. Oder aber auch offene Enden von Stromkabeln, die – von irgendwem angezapft – nicht selten bis genau auf Kopfhöhe herunterhängen, sodass man sich von ihnen im Vorbeilaufen den Schädel rösten lassen kann.
Von überall her raucht es. Zum Einen ist das Verbrennen noch immer erste Wahl bei der Müllentsorgung, zum Anderen steht an jeder Ecke ein Tempel für eine der Tausenden von Gottheiten des Hinduismus, aus denen überdimensionale Räucherstäbchen ihren Teil zur Rauchkulisse beitragen.
Passanten tragen mitunter riesige Körbe auf dem Kopf. Sie schieben Handkarren. Oder auch mal ein mobiles Miniatur-Riesenrad:
Wahrsager lesen auf dem Gehweg aus der Hand, nebenan haben Barbiere und Tätowierer ihre open-air Wirkstätten. Daneben wiederum winzig kleine Kopierläden oder Männer mit einer Schreibmaschine, die Übersetzungen erledigen. Ein paar Meter weiter verkaufen Männer riesige Ballons, geröstete Nüsse, Sexspielzeuge und im Grunde alles, was man sich sonst noch so vorstellen kann. „Yes“ ruft es aus allen Ecken und Winkeln – in Indien gilt das gemeinhin als erfolgversprechender Einstieg in ein Verkaufsgespräch.
Dazu gibt es immer mal wieder Menschen mit Missbildungen aller Art, die zum Teil nicht laufen können und sich daher auf Skateboards fortbewegen oder sich mit den Armen zentimeterweise nach vorne ziehen.
Jogging in Mumbai: Ablenkungen
Man kann gar nicht so schnell schauen, wie einem die Eindrücke in Indien vor die Augen geworfen werden. Wegen der oben genannten Hindernisse sollte man es außerdem den Indern gleichtun und immer nur nach vorne schauen.
Zunächst sind da natürlich all die bereits oben erwähnten fantastischen Kolonialbauten der Engländer.
Doch damit nicht genug: Überall bewegt sich etwas, blinkt, blitzt, raucht oder fällt gerade um. Überall hupt es, quietscht es, zwitschert, schreit oder klimpert. Gerade ist man einer Kuh ausgewichen, die längsseits auf dem Gehweg steht und genüsslich eine große Plastiktüte verzehrt, da heißt es auch schon wieder Konzentration wahren, denn ein halbes Dutzend schlafender Hunde verlangt eine Art Hindernislauf. Abgesehen vom endlosen Fluss Menschen, der auf der Straße geht, steht, lebt, wäscht, isst und auch sonst fast alles erledigt, hat auch jedes erdenkliche Tier noch seinen Platz im Straßenverkehr. Kakerlaken, Ratten, verfilzte Katzen, Ziegen, Affen – you name it. Gerade als ich einmal glaubte, ich habe die Situation nun einigermaßen im Griff, kreuzte direkt vor meiner Nase eine sicherlich einen Meter lange Echse den Weg.
Am Straßenrand hängen überdimensionale Plakate für schicke Luxuswohnungen am Rande der Stadt. Man fragt sich sofort, wie die meisten der Leute, die diese tagtäglich sehen, sich jemals etwas solches leisten können. 55 % der Mumbaikars leben in Slums, viele weitere leben auf der Straße.
Wenn einem eines besonders zu denken gibt, dann ist es, wie nah die Gegensätze in Indien stets beieinander liegen. Wohnungen in der Nähe des Maidan etwa kosten, auch wenn sie von außen nicht so aussehen, schlappe 2-3 Millionen Dollar. Keine 200 Meter weiter passierte ich stets eine Frau, die mitsamt ihrer sieben Hunde auf dem Gehweg neben einem Müllcontainer lebt.
Was die Ablenkungen angeht, sollte man in jedem Augenblick auf unerwartete Dinge gefasst sein. So passiert es etwa nicht selten, dass ein alter Mann neben einem urplötzlich lauthals niest, voluminös ausspuckt oder herzhaft rülpst. Einmal furzte mich gar jemand von der Seite an.
Jogging in Mumbai: Umweltverschmutzung
Mumbai ist nicht die sauberste Stadt, das ist allgemein bekannt. Außer in den reicheren Vierteln wird man überall mit Müll und Abwasser konfrontiert, von den Abgasen ganz zu schweigen. Die Nähe zum Meer und die damit einhergehende frische Brise machen die Metropole jedoch noch wesentlich angenehmer als etwa Delhi, das sich gerade kürzlich vor alle chinesischen Städten an die Spitze der Feinstaub-Verschmutzung gekämpft hat.
Jogging in Mumbai: Sporternährung
Viele Male am Tag schlürft man einen der sehr leckeren Masala Chais. Will man joggen gehen, so sollte man vermutlich direkt nach einem solchen Tee damit anfangen, da der löffelweise hinzugefügte Zucker einem zumindest für einige Minuten zusätzliche Energie verleiht. Auch empfehlenswert ist natürlich eines der höllisch scharfen Gerichte. Man sollte schon vor dem Essen bezahlen und sich in seine Joggingklamotten werfen. Sobald die Schärfe dann einsetzt und man dem Kellner am liebsten an die Gurgel gehen würde, ist der beste Zeitpunkt für einen Lauf gekommen!
Jogging in Mumbai: Fazit
Mein allgemeines Fazit lautet: Man kann und sollte überall joggen gehen! Abgesehen davon, dass ein etwas höherer Anteil an Sauerstoff in der Luft sicherlich manchmal nicht schaden würde, ist es doch eine vergleichsweise gesunde Art, eine Stadt zu erkunden.
Mumbai ist eine fantastische Stadt, die einen an jeder Ecke aufs Neue verblüfft. Nicht umsonst habe ich aus geplanten zwei Tagen eine ganze Woche werden lassen. Am Besten ist es, man macht sich ein paar gedankliche Notizen zu Orten, die besonders faszinierend aussehen. Dort kann man dann später, frisch geduscht und in trockenen Klamotten noch einmal hingehen und sie ausgiebiger bestaunen.
Anmerkung: In einem Klima wie diesem schwitzt man noch mindestens eine halbe Stunde nach.
Mein Favorit in Mumbai: Chowpatty Beach, und das am Besten an einem Sonntagnachmittag, wenn gefühlte 50% aller Inder ebenfalls dort sind. Eines der leckeren Belphuris sollte dann auch gleich wieder in der Lage sein, die beim Laufen verlorenen Elektrolyte zu ersetzen.
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Thx Marco. Das macht Lust und Laune auf einen Joggingtrip beim nächsten Mumbai-Besuch. Wobei du nicht erwähnt hast, wie schnell man sich eigentlich inmitten all der Eindrücke und Hindernisse bewegen kann. Ist das noch Jogging im Sinne von „Laufen“ oder eher eine Art „Meditative Jogging“??
Ein guter Punkt, Alex! Ich denke ‚Meditative Jogging trifft’s ganz gut! ;-)
Du hast nen Knall! ;)
Ich warte auf die Fortsetzung in der Serie „Joggen wo es keinen Spass macht“:
* Joggen in Dubai
* Joggen in Venedig
Hah hah! Dubai wäre wohl tatsächlich die Hölle auf Erden. Venedig allerdings kann ich mir ganz gut vorstellen! Ich werde mal alles Nötige veranlassen.
Es gibt sogar tatsächlich einen Park in Mumbai, der extra Joggingwege und Sportgeräte hat. Die Hanging Gardens am Malabar Hill. Wir waren nicht zum Joggen da, sondern weil man von dort aus einen sensationellen Blick über Chowpatty und die gesamte Bucht von Mumbai hat.
Die Hanging Gardens wurden übrigens über dem Wasserreservoir von Mumbai gebaut, da ganz in der Nähe die Türme des Schweigens stehen. Die Parsen legen hier ihre Toten auf Türmen ab, damit die Geier dann die Knochen der Toten vom Fleisch befreien. Sogar die hartgesottenen Mumbaier waren irgendwann davon genervt, dass die Geier im Vorbeifliegen ständig Leichenteile in ihr Wasserreservoir fallen ließen. Daher der Park als Deckel…
Cool zu lesen, dass Dir Mumbai auch so gut gefallen hat. Für mich eine der großartigsten Städte der Welt und ich könnte dort Monate verbringen. Andere finden sie einfach nur furchtbar. Mumbai ist wohl eine dieser Städte, die man entweder hasst oder liebt.
Hey Claudia, das hätte ich mal eher wissen müssen! Zumal ich nach dem Buch ‚Maximum City‘ ohnehin fasziniert bin von den Türmen des Schweigens. Ich denke, ich könnte auch länger in Mumbai verbringen. Gut für die Gesundheit ist das aber sicherlich nicht… ;-)