Tja, da hatte der Eine oder Andere wohl schon geglaubt, ich hätte bereits alle ekligen Geschmackserlebnisse preisgegeben, als ich seinerzeit den Artikel 7 schräge Gerichte, die man nicht unbedingt gegessen haben muss veröffentlichte, der sich bis heute großer Beliebtheit erfreut. Doch mir sind tatsächlich noch ein paar mehr eingefallen… Ich hoffe, Ihr habt schon was im Magen!
1. Salat aus vergammeltem grünen Tee (Lahpet)
Doch, doch, Ihr habt richtig gelesen: Salat. Grüner Tee. Ich kann Eure Fragen förmlich hören: Warum in aller Welt sollte man Tee essen? Und vor allem: Warum sollte man überhaupt irgendetwas erst vergammeln lassen und dann essen? Die Mysterien fremdländischer Küche…
Tatsächlich ist Myanmar ein Land, in dem man grünen Tee nicht nur trinkt, sondern auch isst. Hierfür werden nur die besten Blätter einer Ernte ausgewählt. Diese kocht man für fünf Minuten – bis dahin also alles noch der gewöhnliche Umgang mit Tee. Dann jedoch stopft man die nassen Teeblätter in Bambusröhrchen. Diese vergräbt man sodann oder beschwert sie zumindest mit Gewichten. Und danach hat der Tee eine Menge Zeit, zu vergammeln, manchmal nämlich bis zu sechs Monate!
Ich liebe die südostasiatische Küche, aber auch die indische schätze ich sehr. Myanmar, auch geografisch genau dazwischen gelegen, servierte eine Küche, die zum Teil wirklich das Beste aus diesen beiden Welten kombinierte. Außer vielleicht die Raffinesse Vietnams. Alles in allem jedoch gab es sehr leckere Sachen. Und nach zwei Wochen vor Ort stand dann bei einem wahren Festmahl in Bagan auch endlich Lahpet auf dem Tisch, von dem ich vorher schon viel gelesen hatte.
Bekommt man: Bei vielen Gelegenheiten in Myanmar, besonders aber bei zeremoniellen Festen.
Kostet: Nichts. Wie auch zu jedem Essen und sogar zu Kaffee kostenlos Tee in seiner herkömmlichen Form gereicht wird, so bekommt man den Teesalat ebenfalls als kostenlose Beigabe zu einem Essen.
Schmeckt wie: Im Grunde schmeckt es genau so, wie man sich das Ganze vorstellt. Erdig, bitter, klebrig, schleimig, beißend. Vermutlich nicht viel anders, als wenn man am Morgen nach einer Party den Rest einer Bierflasche leert, in der noch ein paar Zigarettenkippen dümpeln. Außerdem muss sich der westliche Gaumen wahrscheinlich erst einmal daran gewöhnen, dass auch Geschmacksnuancen dieser Art unter die Rubrik Salat fallen können.
2. Roher Seeigel
Ist man mit Japanern am Reisen und diese packen plötzlich und unangekündigt eine Schnorchelausrüstung aus, so sollte man auf der Hut sein. Denn in der Regel schnorcheln sie nicht zum Vergnügen, sondern ausschließlich um vermeintliche kulinarische Schätze zu heben. Dass man dann zur Verköstigung eingeladen wird, bedingt die japanische Gastfreundlichkeit. Dass man dazu wiederum nicht nein sagen kann, versteht sich für einen höflichen Menschen von selbst.
An einem faulen Nachmittag am Strand des südindischen Kovalam ahnte ich nichts Böses, als sich mir meine Freunde aus dem Land der aufgehenden Sonne stolz mit ihrem Fang näherten: Seeigel. Ja, sie hatten es tatsächlich geschafft, ein paar dieser schmerzhaften, weil höllisch spitzen Racker von den Felsen abzulösen und an Land zu bringen. Nun begann der gemütliche Teil. Feierlich schnitt man mir einen Seeigel in der Mitte durch, kippte die Hälften dann schnell, damit nichts rauslaufen konnte, und fügte noch einen Schuss Sojasauce hinzu. Zusammen mit einem Löffel bekam ich die Delikatesse dann gereicht und durfte als Erster zuschlagen. Erst als ich den gesamten schleimigen Inhalt ausgelöffelt hatte, machten sich meine Freunde über den Rest der seltsamen Kreaturen her.
Bekommt man: Überall, wo es Seeigel gibt. Es gibt einem doch hierbei bereits zu denken, dass Seeigel auch in diesen Gegenden im Grunde nie auf einer Speisekarte zu finden ist…
Kostet: Einen langen Atem, denn so leicht lassen sich die seltsamen Kreaturen offenbar nicht aus dem Wasser fischen.
Schmeckt wie: Zunächst die Konsistenz: Purer Schleim. Hat so ein Seeigel gar keine Organe?! Dazwischen noch ein paar unvermeidliche Reste vom geknackten Panzer, die es auszuspucken gilt. Der Geschmack hingegen ist der intensivste Meeresgeschmack, den man sich vorstellen kann. Im Vergleich dazu schmecken Austern wie Rosenwasser. Mein persönlicher Seeigel jedenfalls schmeckte wie etwas, das von der Natur ganz bestimmt nicht zum Essen vorgesehen wurde. Ich fragte mich, ob er wohl noch am Leben war, als meine Freunde ihn ‚töteten‘. Keine drei Stunden später saß ich auch schon auf der Toilette.
3. Schwalbennestsuppe
Dieses Gericht hatte im Grunde schon lange auf meiner Liste gestanden, auch wenn die Fakten noch so ernüchternd waren: Eine Suppe, die tatsächlich aus Schwalbennestern besteht. Und Schwalbennester, nun ja, die bestehen aus ein paar irgendwo zusammengeklaubten Grashalmen. Hauptsächlich aber aus Schwalbenspeichel. Yep, SCHWALBENSPUCKE!
Auf einer Food Tour durch Bangkoks Chinatown war es dann schließlich soweit. Ich hatte extra den ganzen Tag über nichts gegessen, da die kulinarische Auswahl in diesem faszinierenden Teil Bangkoks schier unglaublich war. Wir entschieden uns der Political Correctness halber gegen Haifischflossensuppe, die man dort trotz internationalem Verbot an jeder Ecke feilgeboten bekommt. Stattdessen steuerten wir einen der vielen Läden an, an deren Wänden sich die Gläser mit Schwalbennestern stapelten. Je nach Schwalbenart und Wohnort des Vogels unterscheidet sich offenbar die Qualität des Nestes und so auch dessen Preis. Mein Fress-Komplize Randy und ich wählten etwas aus dem mittleren Preissegment.
Das Essen einer solchen Suppe gleicht einer Art Zeremonie. Nicht zuletzt isst man die Suppe ja auch wegen ihrer kräftigenden Heilwirkungen. Zur Suppe gibt es noch hartgekochte Eier und Honig sowie einen grünen Tee zum Hinunterspülen. Nach einem Moment der Überwindung legten wir los und versuchten dabei, nicht an geifernde Schwalben zu denken.
Bekommt man: Vermutlich überall in China. Oder eben in Chinatown im thailändischen Bangkok.
Kostet: Für ein hochwertiges Nest kann man eine Menge Geld hinblättern. Es gibt Nester für 1000 Dollar! Unseres kostete 400 Baht, also etwa 10 Euro.
Schmeckt wie: Tja, da sind wir auch schon beim Problem. Denn eigentlich schmeckt die Schwalbennestsuppe nach nichts! Ich gab mir wirklich Mühe, auch noch die letzte Geschmacksknospe in meinem Mund zu öffnen für die feinen Nuancen dieser Spezialität. Aber es wollte sich partout kein Geschmack einstellen. Und so war der Honig letztendlich das Einzige, was dem Gericht einen Akzent verlieh. Ansonsten hätte man genauso gut auch Porridge löffeln können. Dazu kommt noch, dass man, wenn man nicht an den Speichel von Schwalben denken möchte, wirklich an nichts mehr Anderes denken kann…
4. Barilla
Nein, es handelt sich hier nicht um die allseits beliebte Pastamarke. Das wäre nun wirklich zu einfach. Als Barilla bezeichnet man auf einer kleinen griechischen Insel namens Nisi Trikkeri ein kleines Meerestier, das wie eine Mischung aus Fisch und Krebs daherkommt. Ein filigranes Zwitterwesen, durch das man im Gegenlicht der Sonne komplett hindurchblicken kann.
An einem heißen Sommernachmittag auf dieser Insel vor Volos, die so klein war, dass es nicht einmal eine geteerte Straße gab, fuhr ich mit ein paar Einheimischen in einem Boot raus. Wir dümpelten vor der malerischen Küste, sprangen ins klare Wasser und planschten um die Wette. Doch nach einer Weile der Unbeschwertheit forderte mich die Bekannte, die ich besuchte, und deren Eltern von dieser Insel stammten, heraus, eine Barilla so zu essen, wie man es dort seit jeher machte: roh. Oder soll ich sagen lebendig?
Mit geübtem Griff packte sie sich eine Barilla nach der anderen. Man fand sie rund um die Felsen, die aus dem Wasser ragten. Dann steckte sie sich immer einen der kleinen Schwimmer in den Mund, ließ ihn dort ein paar Runden drehen und biss ihn dann ganz plötzlich entzwei, um ihn danach genüsslich zu verschlingen. Sie in ihrem Bikini, auf barbarische Art Tiere zerbeißend, das hatte schon eine gewisse Sexiness. Aber musste ich das nun wirklich auch tun?!
Da ich vermeiden wollte, dass am Abend das ganze winzige Eiland wusste, dass ich gekniffen hatte, ließ ich mich schließlich dazu überreden und mir eine Barilla anreichen. Das Tierchen im Mund war eine sehr interessante Empfindung, das Zerbeißen fiel mir da schon deutlich schwerer. Doch dann tat ich es. Kurz und schmerzlos. Und schluckte, so schnell ich konnte.
Bekommt man: Schwer zu sagen, ob man diese Tiere in Zeiten der Überfischung überhaupt noch findet. Auch interessant wäre zu wissen, wie sie wohl auf nicht-griechisch heißen. Wir jedenfalls haben sie in Vertiefungen von Felsen im griechischen Mittelmeer gefangen. Das schöne Nisi Trikkeri ist übrigens auch sonst einen Besuch wert.
Kostet: Eine Menge Überwindung.
Schmeckt wie: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich so auf die Tötung des Tieres mit meinem Kiefer konzentriert war, dass ich mich kaum an den Geschmack erinnern kann. Krabbe vielleicht? Gar nicht mal schlecht. Doch der Tötungsprozess hinterließ bei mir ein regelrechtes Trauma. Man sagt ja, dass jeder einmal das töten sollte, was er essen möchte. Das gibt einem wirklich einen ganz neuen Bezug zum Tier. Ich jedenfalls habe nie wieder eine Barilla gegessen.
5. Hausgemachte Fischpaste mit unreifer Mango
Ist man wie ich ein leidenschaftlicher Fan Südostasiens, so kommt man am Thema Fischsauce gar nicht vorbei. Schon bei meinem ersten Besuch, machte ich schnell Bekanntschaft mit ihr. Natürlich ist der Geruch brachial. Und denkt man genauer darüber nach, dass man es hier mit dem Saft verwesender Fische zu tun hat, kann das doch durchaus auch ein Dämpfer sein. Aber der Geschmack ist wirklich OK, hauptsächlich salzig. Und manchmal gibt es nichts, was besser zu einem Gericht passen würde.
Während meiner Zeit als Tourguide in Vietnam besichtigten wir einmal im durch und durch nach Fisch stinkenden Na Thrang einen Fischsaucen-Hersteller. Dieser erzählte uns neben den großen Fässern voller vergammelnder Fische, dass es wie bei gutem Wein oder Aceto Balsamico auch Sammler von besonders alten und speziellen Fischsaucen gab. Außer der Sauce gab es auch noch die Paste. Und diese war, hatte ich das richtig verstanden, nichts anderes als Fischköpfe, denen man eine Menge Zeit gegeben hatte sich zu zersetzen.
Eine solche – und dann auch noch hausgemacht – bekam ich an einem heißen Tag im südlichen Kambodscha angeboten. Da mich ein Mönch zu sich ins Haus eingeladen hatte und es seine herzerweichend liebe Großmutter war, die mir die Paste anbot, konnte ich auf keinen Fall ablehnen. Nicht mal, als ich merkte, dass ich die brechreizerregende Paste auch noch mit unreifen, sehr bitteren Mangos hinunterwürgen musste (die ganze Geschichte hier). Was soll ich sagen? Manchmal muss man im Leben durch etwas durch, das sehr bitter und schlimm schmeckt, damit daraus etwas Schönes entstehen kann.
Bekommt man: Überall in Südostasien.
Kostet: Nichts. Wie auch der obligatorische Teller mit Kräutern und der höllisch scharfe Chili-Essig ist die Fischpaste ein Gewürz, das oft zur freien Benutzung auf dem Tisch steht.
Schmeckt wie: Ranziger Fisch. Sehr intensiv (nur knapp weniger als die weiter oben beschriebenen Seeigel), sehr salzig, und irgendwie ungesund. An unreife Mango hingegen kann man sich gewöhnen.
Ich habe so ein Gefühl, dass mir in nicht allzu ferner Zukunft noch mehr Gerichte einfallen, die man sich sparen kann. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werde ich dieser Liste auch auf meiner jetzigen Indien-Reise noch ein paar Punkte hinzufügen!
Was sich übrigens ganz hervorragend essen lässt, sind frittierte Seidenraupen! Sehr lecker in Kombination mit flüssigem, fermentiertem Tofu. Yummie! (gegessen an meinem Abschiedsabend im District Mot, Berlin)
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Diese Gerichte könnte man glatt beim „Dschungelcamp“ verwenden. ;-)
Toller Beitrag!
Danke, Melvin! Und ja, vielleicht sollte ich da mal anrufen!
Warum nicht? ;-)
Dein Beitrag zum Teeblatt-Salat in Myanmar verwirrt mich gerade ein bisschen. Ich fand nämlich, dass dies das einzige Gericht im Land ist, das wirklich lecker schmeckt (und auch etwas ungewöhnlich ist). Ich habe mir das bei jeder Gelegenheit bestellt.
Kannst du vielleicht mal bestätigen, dass wir vom gleichen reden? Ich habe hier ein Foto von meiner Leibspeise: http://weltreiseforum.com/blog/sieben-mythen-und-halbwahrheiten-uber-myanmar/ Handelt es sich hierbei tatsächlich um das, was du hier mit einem abgestandenen Bier mit Zigerettenkippen vergleichst?
Falls dem so ist, mein kleines Plädoyer an die Leser: Versucht das Gericht! Auch wenn Marco es nicht mundete, mindestens ein Leser fand es super lecker! :)
Hah hah! Echt? So unterschiedlich sind die Geschmäcker. Nach Deinem Foto zu urteilen, sprechen wir tatsächlich über dasselbe Gericht. Also, liebe Leser, nun müsst Ihr selbst entscheiden!
Sag mal, Olli, ist geokulinarisch eigentlich ein echter Begriff? Klingt zumindest toll!
Aber klar ist „geokulinarisch“ ein Begriff. Google findet immerhin 19 Texte, in denen das Wort vorkommt – und sobald der Bot hier wieder vorbeikommt, müssten es 20 Hits sein. Ganz klar auch ein Begriff, der sich immer stärker ausbereitet. :)
Hi Oli und Marco,
jupp, hier sind noch zwei bekennende Teeblatt-Salat-Fans! GR0ßARTIGES Gericht! Frisch, herrlich scharf, toll gewürzt und zum darniederknien knusprig! (Die frittierten Bohnen machen so dermaßen Laune!!)
;-)
Dringend nochmal probieren. Der Geschmack, den Du da beschreibst, läßt mich auf einen rauchenden Koch schließen, gilt aber sicher nicht für den eigentlichen Salat!
Hah hah, Ok, vielleicht hast Du Recht mit dem rauchenden Koch!
Du hast das so schmackhaft beschrieben, dass ich dem Gericht wohl wirklich noch ne zweite Chance geben muss!
Safe travels,
Marco
Really informative blog article.Really thank you! Want more. fcdddgeeecdc
habe letztes Jahr auch frittierte Raupen in Sambia gegessen, und muss auch sagen, die haben echt geschmeckt und waren schön knusprig :D (Y)
Yuck!!!