Der Ausgang war absehbar. Im Grunde war mir schon klar, was passieren würde, als die Karaoke-Maschine nebenan krächzend zum Leben erwachte…
Gerade erst hat mich ein Bus im komplett dunklen Oslob ausgespuckt. Und da war erst mal nichts. Gar nichts. So unvorbereitet wie dieses Mal bin ich wohl noch nie gereist. Ich habe nichts geplant, nichts gelesen, nichts gebucht. Ich bin ein Spielball des Schicksals. Jemand in Manila erwähnte Oslob – und so wurde Oslob zu meinem nächsten Ziel.
Das Gefühl, das mich beschleicht, als der Bus in der Schwärze verschwindet, ist aufregend und beängstigend zugleich. Wo werde ich schlafen? Gibt es hier überhaupt Hotels? Wie sieht das hier alles wohl bei Helligkeit aus?
Ein Mopedfahrer erscheint aus dem Nichts und stellt sich mir vor. Richard. Wie alle Filippinos bisher ist er die Höflichkeit in Person. Ich vertraue ihm umgehend blind, meine Naivität in solchen Angelegenheiten ist ja bereits legendär. Doch sie wird, wie fast immer, belohnt.
Ein paar Minuten später nenne ich ein kleines, schimmliges Zimmer in einer Lodge mein eigen, und Richard hat mich knatternd ins ‚Zentrum‘ von Oslob chauffiert, wo es minimal heller ist und sich ein paar Menschen herumtreiben. Ich esse gegrilltes Hähnchen mit Reis aus einem Bananenblatt und quatsche mit ein paar Einheimischen. Dann köpfe ich an einem Kiosk ein großes Red Horse Bier und treffe auf zwei Engländer, die beide Gary heißen, den Schalk im Nacken tragen und seit 25 Jahren in diesem kleinen Nest leben. Bei einem zweiten Bier erzählen sie ihre Geschichten und so langsam verstehe ich das hier alles ein wenig besser. Eines steht fest: Es ist nett hier. Ruhig und dunkel zwar, aber doch ziemlich nett!
Ich laufe entlang der Straße zurück zu meiner Lodge, um mich schlafen zu legen. Denn morgen muss ich früh raus, um mit Walhaien zu schnorcheln. Alles gerade eben erst arrangiert.
Doch es kommt anders.
Unmittelbar neben dem Fenster meiner stickigen Bleibe liegt eine Karaoke-Bar. Ja, man könnte sagen, dass mein Fenster direkt in diese Karaoke-Bar geht. Schnell ist klar: Schlafen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich beschließe daher, mir das mal aus der Nähe anzusehen.
In einem völlig kahlen Raum aus Beton steht alles beherrschend jene Maschine, die mich auf voller Lautstärke vom Schlafen abhält. Davor sitzen fünf junge Typen, die ein Glas mit Bier kreisen lassen, mit Leidenschaft rauchen und sich im Takt der Musik wiegen. Einer von ihnen singt und er macht das ziemlich gut. Sie winken mich herein. Es ist sofort um mich geschehen!
Keine 5 Minuten später habe ich im angrenzenden Laden eine 1-Liter-Flasche Bier und ein Päckchen Menthol-Zigaretten besorgt, die ich der jubelnden Runde spendiere. Keine weiteren fünf Minuten später habe ich selbst das Mikrofon in der Hand und singe aus voller Kehle ‚Hey Ya‘ von Outkast. Mit kleinen Hängern zwar, aber offenbar genügt es doch, um Teil der Crew zu werden.
Die folgenden zwei Stunden werde ich so bald nicht wieder vergessen. Sie sind eine Achterbahn der Gefühle. Eine Demonstration der unglaublichen Lebensfreude, die hier herrscht. Ein herzerweichender Akt der Gastfreundschaft. Ein Beweis dafür, dass wir alle Menschen sind – mit Gefühlen, Sorgen und der Lust uns auszudrücken. Irgendetwas passiert mit mir in dieser kleinen Beton-Höhle. Ich bin wirklich berührt.
Wir trinken, wir rauchen, wir tanzen, wir singen. Von alldem viel. Filippino-Songs, amerikanische Songs, englische Songs aus den 80ern. Die Jungs sind ziemlich textsicher und scheuen sich nicht im Geringsten davor, mit Inbrunst zu singen. Die Mappe mit den Liedern kreist, diese wundervolle Maschine kann offenbar tausende von Songs aus allen Epochen. Auf dem Monitor laufen hinter dem Text unglaublich schlecht gemachte Filmchen über malerische Orte und händchenhaltende Menschen am Strand. Doch das interessiert uns alles nicht. Was zählt, sind die Songs!
Als ich eine Songnummer falsch angesagt habe, spuckt die Maschine ein extrem kitschiges Liebeslied aus. In unseren westlichen Ländern wäre das nun vermutlich der Moment, wo man den starken Mann markieren und sich von Gefühlsduselei entschieden abgrenzen müsste. Nicht so hier. Meine neuen Freunde, übrigens alle gerade frisch von der Uni, schämen sich nicht im Ansatz für ihre Gefühle. Sie singen die Schnulze bis zum Ende und das mit Verve. Am Ende der 6-Minuten-Nummer habe ich Tränen in den Augen und, wie mir scheint, bin ich nicht der Einzige.
Nachdem die Maschine – wie jedes Mal – abschliessend verkündet hat, dass wir ‚fantastic singers‘ sind, fragt mich J.R., der beste Sänger von allen, ob ich denn eine Freundin habe. Ich erzähle ihm, dass ich frisch getrennt bin und daran noch immer ziemlich zu knabbern habe. Er ist darüber regelrecht begeistert: „Welcome to the heartbreak club, man!“ Mit einer Geste in die Runde erzählt er, dass fast alle von ihnen gerade eine Trennung hinter sich haben. Die Jungs nicken geknickt und ich möchte jeden einzelnen von ihnen umarmen. Doch J.R. krätscht dazwischen. „Let’s sing more lovesongs!“, ruft er, die Fäuste geballt. Und so kommt es…
Während der nächsten Stunde, die sich im Nebel des Alkohols und der Emotionen fast wie ein ganzes Leben anfühlt, lassen wir alles raus, was raus muss. Wir saufen wie Piraten, rauchen wie Schlote und feuern eine Schnulze nach der anderen ab. Zwei Songs – 5 Pesos. Die Münzen klimpern auf dem Tisch.
Bis die Mama, die den Shop nebenan betreibt, uns schließlich mitteilt, dass sie den Laden jetzt dichtmachen muss. Die Nachbarn…
Meine neuen Freunde, die für einen Moment wie kleine Schuljungen wirken, erbitten sich einen letzten Song. Die Mama gewährt ihnen diesen mit einem milden Lächeln.
Und so tanzen wir noch einmal wild und grölen. Ein letztes Mal. Es ist ein Filippino-Song, doch schon bald kann ich mitsingen. Wir liegen uns dabei in den Armen.
Dann erstirbt diese wundersame Maschine, deren Kabel in der nackten Wand verschwinden. Und mit einem Mal ist es idyllisch ruhig.
J.R. verteilt die letzten Reste Bier; alle sehen jetzt ziemlich mitgenommen aus. Nichtsdestotroz fragt er mich, ob ich noch mitkomme. Der Heartbreak Club zieht noch geschlossen in eine andere Bar, die länger geöffnet ist. Mehr Biere wollen getrunken, mehr Liebeslieder gesungen werden!
„No, my friends, I really need to sleep!“, teile ich ihnen schweren Herzens mit. Man soll gehen, wenn es am besten ist. Dann bedanke ich mich bei jedem einzelnen. Und sie sich witzigerweise auch alle bei mir.
So rundum zufrieden wie schon lange nicht mehr stolpere ich die paar Meter nach nebenan und falle in mein Bett, wo ich bereits Sekunden später einschlafe.
Karaoke. Ich habe so ein Gefühl, dass dies nicht das letzte Mal war!
Und jetzt noch mal alle:
Oslob liegt auf der Insel Cebu, auf den Central Visayas. Abgesehen von Karaoke-Bars gibt es hier tolle Strände und man kann mit Walhaien schnorcheln!
Für die gesamte, sehr emotionale Geschichte meiner Phillies-Reise empfehle ich meinen Artikel ‚Ich, die Liebe und andere Katastrophen‘ bei den Travel Episodes!
Und hier bekommst Du alle Informationen zu diesem tollen Land:
Sehr erheiternd geschrieben. Ja, die Filipinos und ihr Karaoke. Du scheinst mit den Jungs einen richtigen Glückstreffer gelandet zu haben. Meine Erfahrungen, hinsichtlich philippinischer Gesangstalente, sind sehr ernüchternd. Was mir da alles zu Ohren kam, grenzte beinahe an Körperverletzung…aber sie lieben es einfach und singen hemmungslos drauf los.
Hah hah! Ja, das stimmt schon, nicht alle können singen… Aber allemal besser als bei uns, wo sich die meisten gar nicht erst trauen!
Hach, Philippinen <3
Sieht nach einer riesigen Menge Spaß aus :D
Das kann ich bestätigen! ;-)