Nach einer Woche in Kambodscha bin ich nur wenig überrascht vom jungen Mönch, der mit erhobenem Daumen am Straßenrand steht. Seit zwei Tagen cruise ich auf einem Motorrad in und um die Stadt Kampot herum und ich habe währenddessen schon weit schrägere Dinge gesehen. Besonders, was den Buddhismus in Kambodscha angeht, ist man oftmals überrascht von seiner jeweiligen Auslegung.
Ich halte an und lasse den jungen Mann in seiner orangenen Kutte hinter mir aufsteigen. Da wir keine Sprache teilen, sind die folgenden Minuten von Schweigen geprägt. Wie schon den ganzen Tag ist das Knattern des Geländemotorrads mein Soundtrack zum ländlichen Kambodscha. Der Mönch weist mir den Weg mit eleganten Bewegungen seines Zeigefingers. Da ich ohnehin ziellos unterwegs war, bin ich gewillt, ihn hinzubringen, wo auch immer er hin möchte.
Als wir bei seinem Zuhause ankommen, legt er seine Hand sanft auf meinen Oberarm. Mit dem Anflug eines Lächelns bedeutet er mir, ihm nach Drinnen zu folgen.
Der junge Mann lässt mich im schattigen Garten des Hauses zurück und verschwindet lautlos in dem simplen Gebäude. Nur einige Momente später taucht er wieder auf, diesmal in Begleitung einer uralten Frau, die nur seine Großmutter sein kann. Ich begrüße sie so höflich wie möglich. Sie lächelt nur unablässig und bewegt sich mit steifem Gang. Mit einer Geste bittet sie mich, doch wieder Platz zu nehmen. Dann zaubert sie ein fleckiges Einweckglas hinter ihrem Rücken hervor, stellt es vor uns auf einen metallenen, runden Tisch und spricht ein paar leise Sätze auf Khmer. In dem Moment, da sie das Glas aufschraubt, haut mich der Gestank von fermentiertem Fisch fast von meinem Beton-Sitz. Ich habe in den letzten Monaten in Südostasien zwar schon einige Male Fischsauce gegessen, aber diese hier riecht wirklich, als sei sie schlicht und einfach verdorben. Doch mir dünkt bereits, dass es für mich nicht beim Riechen der Sauce bleiben wird.
Die alte Frau lässt die Quelle des ekelhaften Gestanks offen auf dem Tisch stehen und greift anmutig nach einer hellgrünen Mango auf dem anderen Tisch. Dieser steht direkt unter einem Mango-Baum und so liegt auf ihm wohl meistens eine Frucht, wenn man eine braucht. Flink schneidet sie das grüne Oval in Stücke. Dann bietet sie mir mit einer fordernden Geste die Fruchtstücke an und macht mir klar, dass ich diese vor dem Essen tief in die Sauce tunken muss.
Wo ich herkomme, sagt man, dass unreife Früchte Magenschmerzen verursachen. Und fauler Fisch, naja. Damit kann man im Grunde nicht mal seine Katze füttern. Doch diese Menschen hier bieten mir etwas an von dem Wenigen, das sie besitzen. Und sie tun dies mit einem großzügigen Stolz. Dieses Angebot abzulehnen, würde bei mir in jedem Fall ein schlechteres Gefühl hinterlassen als jeder noch so verdorbene Magen. Und so beginne ich unter ihren Augen, die bittere Frucht in die intensive, zähflüssige Sauce zu dippen und das Ganze in meinem Mund zu einem süß-salzig-bitteren Verwesungssaft zu zerkauen. Ich gebe mich tapfer, während die Frau mich bei jedem Bissen mit einem breiten, fast zahnlosen Grinsen und voller Genugtuung beobachtet. Als sie das Gefühl hat, dass ich nun genug gegessen habe, schlurft sie zurück ins Haus. Ihr Enkel, der die ganze Szene mit einem erhabenen Lächeln verfolgt hat, zeigt kurz in Richtung Haustür, dann auf meine Kamera. Ich verstehe.
Als seine Großmutter nach draußen zurückkehrt, hat sie ihren einfachen Kittel gegen ein makelloses weißes Kleid eingetauscht und sieht geradezu festlich aus. Fast scheint es, als würde ihr Klamottenwechsel sich sogar auf ihren Gang auswirken. Hatte ich sie vorher noch für ein einfaches Mütterchen gehalten, will ich nun nicht mehr ausschließen, dass sie früher einmal eine einflussreiche Frau war. Der junge Mönch scheint meine Gedanken zu lesen. Mit der Ausgeglichenheit, die man hier überall vorfindet, ruht er noch immer in derselben Position und lächelt.
Dann stellen sich die Beiden vor der abblätternden Wand auf und nehmen eine unprätentiöse, aber stolze Haltung ein. Nachdem ich davon zwei Fotos gemacht habe, winkt mich der Mönch zu sich und seiner Oma. Mit dem Selbstauslöser schieße ich einen Schnappschuss von uns dreien. Er in dunklem orange, sie in weiß, ich in Traveller-Montur. Was uns optisch alle vereint, ist der kahlgeschorene Schädel. Doch während ich lächle, als der Auslöser blinkt, blicken die Beiden mit undurchschaubaren Minen in die Linse.
Die alte Frau nimmt meine Hand, schaut mir tief in die Augen und sagt etwas in ihrer Sprache, das sehr wohlwollend klingt. Dann macht sie sich auf den Weg zurück ins Haus, wo sie vermutlich wieder in ihre Arbeitsklamotten schlüpfen wird. Im Türrahmen dreht sie sich noch einmal um und winkt mir.
Ich verabschiede mich vom jungen Mönch. Leider spricht er kein Wort Englisch und so kann ich nicht einmal seinen Namen in Erfahrung bringen. Ich bedanke mich für die außergewöhnliche Erfahrung und versuche mich daran zu erinnern, auf welcher Höhe des Kopfes man gegenüber Mönchen den Wai, die traditionelle Grußgeste, ansetzt.
Dann schwinge ich mich auf die Enduro, trete den Kickstarter und fahre zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind.
Letzten Endes verträgt mein Magen die Mahlzeit einwandfrei. Ich verbringe die Nacht nicht wie befürchtet auf der Toilette. Stattdessen ertappe ich mich dabei, wie ich mir immer und immer wieder das Foto von uns dreien anschaue und vollständig versuche zu verstehen, was ich an diesem Nachmittag erlebt habe.
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Bemerkenswerte Geschichte
Werde ich auch nie vergessen!